"Ich habe
mich nie verstellt"
Reinhard Mey
im Interview über seine 40 Jahre im Musikgeschäft - Aktuell zur Tour
2006
Reinhard
Mey ist ein Phänomen: Vor 40 Jahren nahm er seine erste Platte auf und
hält sich seither beharrlich im Musikgeschäft. Ein aufmerksamer,
liebevoller aber
auch kritischer Beobachter seiner Umwelt ist er geblieben – und füllt
heute wie damals die Hallen. Thomas Joppig hat mit ihm gesprochen.
Sie
haben vor 40 Jahren ihre erste Platte aufgenommen, füllen heute immer
noch die Häuser. Sie halten 40 Jahre durch, in der Popszene hat man
nach 40 Monaten
schon
ein Comeback. Wie erklären Sie sich ihren eigenen Erfolg?
(Nachdenklich)
Ach, ich erkläre lieber nicht. Ich blicke über diesen weiten Zeitraum,
ich bin dankbar und glücklich, aber ich will nicht erklären.
Weil
ein bisschen Zauber noch erhalten bleiben soll?
Ja.
Ich habe kein festes Erfolgsrezept, ich habe einfach immer nach meinem
Schnabel gesprochen und geschrieben. Und ich habe mich bemüht, zwischen
dem, was ich singe und dem was ich denke und lebe, eine Gemeinsamkeit zu
bewahren. Es muss entsetzlich schwierig sein, sich 40 Jahre lang zu
verstellen. Deshalb habe ich mich von Anfang nie bemüht, mir ein Image
zu schnitzen, das mir nicht entspricht. Denn so kann ich auch dann vor
mir gerade stehen, wenn ich mal mit einem Projekt Schiffbruch erleide.
Ihre
Konzerte waren besonders in den neuen Bundesländern schnell
ausverkauft. Gibt es, 15 Jahre nach der Wiedervereinigung, immer noch so
etwas wie einen Reinhard-Mey-Nachholbedarf?
Das
ist schwer zu sagen. Ich habe das mit großer Freude gesehen. Ich
glaube, dass die Leute in Ostdeutschland einfach jahrelange Übung darin
haben, zwischen den Zeilen zu hören und zwischen den Zeilen zu lesen.
Wie
erleben Sie die Zeit vor dem ersten Konzert einer Tournee?
Die
Minuten vor dem Konzertbeginn sind die Hölle. Das ist der Preis für
das Glück, das mein Beruf mit sich bringt. Aber ich darf mich nicht
beklagen: Dass ich vor Menschen singen kann, dass ich mit ihnen meine
Gedanken teilen kann, dass sie mir zuhören, mir ihre Sympathie, ihre Wärme
geben. Das ist wirklich ein Gefühl, das glücklich macht, das demütig
macht, das wirklich ein Geschenk ist.
Was bekommen
die Besucher diesmal zu hören?
Eine
ausgewogene Mischung (lacht.) Es gibt mehr als eine gute Hand voll
neuerer Lieder. Bei den alten Liedern ist es immer eine Kunst die Titel
herauszusuchen. Und ich hoffe,
dass
ich mich diesmal sehr klug entschieden habe. Es ist wie beim Kochen: Ich
habe lauter wunderbare Zutaten, aber wenn ich sie im falschen Verhältnis
zusammenrühre,
dann kommt etwas ganz Ungenießbares dabei heraus.
Sie
legen ja viel Wert darauf, ihre Lieder selbst zu schreiben. Ihre
Biografie "Was ich noch zu sagen hätte", die in diesen Tagen
erschienen ist, hat ein anderer geschrieben.
Bernd
Schroeder hatte bereits in den 70er Jahren ein Interview mit mir geführt.
Für das Buch haben wir viele lange Gespräche geführt, die auch in wörtlicher
Rede abgedruckt wurden. Es war witzig. Wir sind uns im
Laufe
der Zeit immer näher gekommen. Am Schluss war Bernd wie ein
Familienmitglied, wie ein Onkel, der alle paar Wochen mal zum Kaffee zum
Klönen kommt. Und
ich
habe mir schon überlegt, dass ich mich, vielleicht in 20 Jahren, noch
mal selber hinsetze und alles noch mal aus meiner Sicht erzähle. Dann
bin ich auch ein Stück weiter auf dem Lebensweg und kann noch mehr erzählen,
noch
mehr in die Tiefe gehen.
Sie
haben nach 23 Jahren erstmals wieder ein
Album
auf Französisch herausgebracht. Wie kam es dazu?
Ich
musste damals aufhören, auf Französisch zu schreiben und in Frankreich
aufzutreten, weil ich sonst zu wenig Zeit für meine Kinder gehabt hätte.
Ich wollte die Arbeit
an
den französischen Liedern aber schon damals wieder aufnehmen. Im
vergangenen Jahr waren alle drei Kinder aus dem Haus. Und so habe ich
die französische
Sprache
wieder für mich entdeckt. Es ist eine große Freude, wenn man so eine Fähigkeit
nicht verlernt hat. Dann merkt man plötzlich, dass der Oldtimer, der so
lange aufgebockt gestanden hat, noch immer funktioniert, wenn er ein
bisschen poliert, geölt und richtig angeworfen wird.
Eine
Zeitung schrieb über Ihr Album "Douce France", sie hätten
ihre Lieder "auf Französisch veredelt".
Empfinden
Sie das selbst auch so?
Wir
Deutschen haben eben eine sehr störrische und manchmal sehr bockige
Sprache, die ich aber ganz besonders liebe. Dieses Eckige und Kantige,
das manchmal roh wirkt und einem manchmal einen Schrecken einjagt. Das
Französische fließt ein bisschen mehr, es gibt mehr Vokale, weniger
Konsonanten. Keine Frage, das singt sich leichter. Zudem ist es
eine
große Chance, ein Lied ein zweites Mal schreiben zu können. Man weiß
noch genau, was man beim ersten Mal unterbringen wollte, aber nicht
konnte. Und beim zweiten Mal ist plötzlich für einen Mosaikstein noch
ein Platz.
Es
ist, als ob man eine Glocke ein zweites Mal gießt. Man bringt eine
Sache, die schon fertig war, noch mal in einen flüssigen Zustand und
gießt sie in eine neue Form. Und es kommt etwas Anderes dabei heraus.
Sie
haben sich immer wieder vehement für eine Quote deutschsprachiger Musik
eingesetzt...
Man
fordert so etwas, und weiß, dass es wahrscheinlich gar nicht durchführbar
ist. Ich denke, man stellt manchmal Maximalforderungen, um ein bisschen
was anzustoßen. Ich bin sehr froh, dass wir zur Zeit sehr viele junge
Leute
haben,
die sich auf Deutsch musikalisch ausdrücken. Aber das, was jetzt an
deutschsprachigen Liedern gespielt wird, stammt alles aus den Jahren
2005 oder 2004. Der deutsche Musikbereich ist ja noch viel größer, es
könnte ja auch mal was von Otto Reuter oder Götz Alsmann im Radio
laufen. In den Slogans der Radiosender ist immer von Vielfalt und
Auswahl die Rede. Aber es ist keine Vielfalt. Es ist eine Auswahl von
hundert Titeln.
Wie
entstehen Ihre Lieder?
Die
Idee trifft einen wie ein Blitz aus heiterem Himmel, auch an Orten, wo
man überhaupt nicht damit rechnet, und wo man die Idee im Prinzip auch
überhaupt nicht gebrauchen kann.
Sie
werden in zwei Jahren 65, ein Alter in dem sich Arbeitnehmer zur Ruhe
setzen. Sie aber nicht, oder?
Nein,
ich habe mir so lange ich denken kann, gewünscht und erträumt, diesen
Beruf machen zu können. Und jetzt möchte ich mich daran erfreuen, so
lange ich kann. Über das Alter habe ich mir das letzte Mal am Abend vor
meinem 30. Geburtstag Gedanken gemacht. Damals
ging
mir der Spruch "Trau keinem über 30" durch den Kopf, und ich
habe mich gefragt, wie es mit mir weiter gehen soll. Seither empfinde
ich es als eine wahnsinnig schöne und aufregende Erfahrung, älter zu
werden, und einem immer größeren Katalog von Dingen im Leben zu haben,
die mir widerfahren sind. Es war toll, 18 oder 28 zu sein, aber das muss
ich jetzt nicht noch mal haben. Ich möchte in diesem Augenblick leben,
weil man nicht weiß, wie viele noch kommen.
Das
Interview führte Thomas Joppig
|